Wer kennt sie nicht, als Betroffener. Die wunderschönen sich immer wieder aufdrängenden, ja teilweise sogar lebensbeherrschenden Zwangsgedanken? „Was ist wenn?“ Sie bestimmen den Tagesablauf, die Planungen, ja eigentlich das ganze Leben und lassen einen niemals in Ruhe.

Zwangsstörungen können leider als Begleiterscheinung der Emetophobie auftreten. Diese lassen sich unterteilen in:

  • Zwangsgedanken 
  • Zwangshandlungen

Und die wiederum können zur Vermeidung und Sicherheitsverhalten führen, aber ganz von vorne:

Was sind Zwänge?

Man entwickelt Zwänge, von denen man ganz genau weiß, dass sie unsinnig und übertrieben sind, aber man muss ihnen trotzdem nachgeben. Früher tat man Zwänge auch als persönlichen Aberglauben ab. Mittlerweile handelt es sich aber um eine anerkannte psychische Störung. Zwänge können leicht auch zu ngststörungen führen und umgekehrt.

Zwangsgedanken als Emetophobiker

Die Zwangsgedanken lassen sich im Groben als immer wiederkehrende Bilder, Gedanken und Impulse beschreiben. Bei einem Emetophobiker lassen sie sich gut in die Kategorie „Katastrophisieren“ einordnen, da im Vorhinein schon immer das Schlimmste befürchtet wird. Zum Beispiel mit einer Gedanken-Ereignis-Verschmelzung:

Man möchte eine Party besuchen, bei der man im Vorhinein schon weiß, dass viel Alkohol fließen wird. Was wird sich also ein eingefleischter Emetophobiker im Vorhinein denken? Richtig! Wird er dann entspannt zur Party gehen und den Abend genießen können. Natürlich nicht. Ständig spuken schon lang bevor die Party überhaupt startet, Bilder im Kopf von Alkoholleichen herum, die sich übergeben. Ein Emetophobiker ohne zusätzliche Zwangsstörung geht zur Party und wird erst mit seiner Angst konfrontiert, wenn es soweit ist, oder leise Befürchtungen aufkommen.

Zwangshandlungen als Emetophobiker

Die typischen Zwangshandlungen, wie sie wahrscheinlich jeder in gewissem Maße genießen darf, sind Handlungen, die man irrationalerer Weise durchführen muss. Zum Beispiel beim Zebrastreifen nicht auf die weißen Linien treten etc.

Ganz prägnant ist bei den Emetophobikern natürlich der Wasch- & Putzzwang. Ich hatte zwar nie einen Putzzwang, aber dafür einen Waschzwang, den ich Gottseidank wieder auf ein gesundes Maß reduzieren konnte. Unbehandelt nehmen Zwangshandlungen nämlich an Intensität zu. Sie dienen nämlich dem Sicherheitsverhalten und wer fühlt sich nicht gerne sicher?

Vermeidung

Hier ein spezielles Beispiel aus meinem Volksschulalter: Bei der Intro Musik zu der Zeichentrickserie Chip & Chap musste ich mir immer die Ohren zuhalten wenn die Songzeile „den Bösen geht es schlecht“ kam. Das Zuhalten der Ohren ist so eine ganz typische Vermeidung. Auch ist eine typische Vermeidungshaltung von Emetophobikern ist nur „sichere“ Lebensmittel zu essen und nie auswärts zu essen, oder schlimmer noch auf Partys, Konzerte oder Reisen zu verzichten. Das geht soweit, bis man gar nicht mehr das Haus oder die Wohnung verlässt. So ging es mir auch ein paar Monate lang.

Sicherheitsverhalten

„Ich gehe nie aus dem Haus ohne Paspertin, eine Flasche Wasser, etc.“, damit wiegt man sich natürlich in falscher Sicherheit. Ja ich hatte eine Zeitlang immer Paspertin dabei, selbst wenn ich nur kurz rausging zum Einkaufen. Später stieg ich um auf Psychopax. Dann war es Xanax. Nicht dass ich sie genommen hätte. Nein, sie mussten einfach nur dabei sein, wie eine Art Talisman. Das geht aber auch in die andere Richtung: Alles was ich anhatte, wenn ich mich einmal übergeben habe (auch wenn es nicht mit irgendwas in Berührung kam) musste ich wegschmeißen. Wenn wir schon von wegschmeißen reden: Stichwort Lebensmittelverschwendung. Genau am Mindesthaltbarkeitdatum werden Lebensmittel für Emetophobiker tödlich und müssen sofort weg. Wurst ist länger als zwei Tage offen, MHD geht aber noch bis übernächste Woche? Weg damit! Ich bin ein extremer Verfechter von Nachhaltigkeit, aber in diesem Punkt steigt mein Hirn auf die Notbremse. 

Entstehung meiner Zwänge und des Sicherheitsverhaltens

Als ich noch ziemlich jung war und meine Phobie und die Traumata noch sehr frisch waren, hatte ich noch nicht wirklich Zwänge. Erst nach einigen Jahren konnte ich das Wort „schlecht“ oder „Kübel“ oder andere Trigger-Wörter, die damit zusammenhingen, nicht mehr hören, da sie sofort Zwangsgedanken auslösten, wie zB, Angst dass sich jemand dadurch – warum auch immer – übergibt.

Als ich meine Magengeschwüre bekam, begannen sich die Vermeidung und die Zwangsgedanken zu verstärken. Wie zum Beispiel vor langen Reisen, Arztbesuchen oder aber auch vor dem Fortgehen. Was ist wenn sich wer anspeibt? Irgendwie war das ja auch nachvollziehbar, da ich mich ja in eine „gefährliche“ Situation begab. Doch dann kamen die Salmonellen und seitdem haben sie mich fest im Griff und gaben meiner Psyche den Rest. Bis dahin habe ich eigentlich ziemlich unbehelligt gelebt mit meiner Emetophobie. Ja sie hat mich trotzdem beherrscht, aber immer nur in akuten Situationen. Mit den Salmonellen hat sich das aber schnell geändert. Sie kamen so unerwartet und mit voller Wucht, dass sich dadurch mein ganzes (psychisches) Leben änderte. 

Obwohl ich mich während dieser Zeit nur einmal übergab, gab es dann keinen anderen Gedanken für mich mehr. Ab da verlies ich das Haus nie mehr ohne meine Medikamente und traf immer und überall Vorkehrungen.

Kurzer Einschub: Es tut mir jetzt schon leid für die Emetophobiker, die meinen Blog nicht lesen können, da sie die Triggerwörter nicht lesen können. Diese lösen nämlich sofort Zwänge aus. Fast schon „abergläubisch“ glaubt man, dass man wenn man ein Triggerwort liest oder hört, einem etwas schlechtes widerfährt. Ich konnte das eine Zeit lang wie gesagt auch nicht.

Therapie mit kognitiver Verhaltenstherapie & Konfrontation

Die Zwangsgedanken verschlimmerten sich so sehr, dass ich nicht mal mehr meine Wohnung samt Medikamente verlassen konnte. „Was ist wenn ich irgendwo was am Boden sehe, sich wer anspeibt oder ich mir wieder etwas einfange? Daraufhin begann ich eine kognitive Verhaltenstherapie. Sie löste zwar nicht meine Phobie, aber ich konnte wieder ein halbwegs normales Leben führen und die Wohnung verlassen. Das lag an einer einzigen Anekdote meiner damaligen Psychotherapeutin. Sie hatte im Schüler- & Studienalter eine höllische Panik vorm öffentlichen Sprechen. Also das typische Lampenfieber. Sie hatte Angst, dass sie sich blamiert, vor allem davor, dass sie Schweißflecken bekam. Natürlich schwitzt man, wenn man nervös ist, was einen Teufelskreis gleichkam. Ihre damalige Therapeutin riet ihr folgendes: „Stell dir vor du schwitzt bei deinem Auftritt so viel, dass der ganze Boden unter dir nass wird. Dass du soviel schwitzt, dass die anderen Leute in den Lacken, die du hinterlässt förmlich ausrutschen und hinfallen.“ Sie sollte sich das alles so überzeichnet darstellen, dass es schon ins lächerliche abrutschte. Und es half. Sie riet mir das gleiche, nur mit Speiben, zu tun. Und es half! Wenn es auch mich bei meiner Phobie nicht weiterbrachte, aber die Zwänge bekam ich dadurch in den Griff.

Die Konfrontation als Selbsttherapie half mir immens bei meinen Triggerwörtern und den Zwängen, kann man im Triggerwort-Beitrag gerne nachlesen. Aber leider wurde meine Phobie um keinen Deut besser.

Zwangsgedanken als Mama mit Kind

Das ganze hielt über Jahre hinweg. Aber dann bekam ich ein Kind. Mit ihm der ständige Begleiter Angst. Natürlich kann er als Kleinkind sich nicht so ausdrücken, oder vorwarnen, dass es ihm nicht gut geht. Man muss als Mutter eben sein Verhalten deuten. Und das lässt natürlich viel Spielraum für Interpretation. Dann begann er in die Kita zu gehen und alles verschlimmerte sich nur. Seitdem er den Norovirus heimbrachte, waren die Zwangsgedanken mit voller Wucht zurück. „Was ist wenn, was ist wenn, was ist wenn?“ Die Noroviren kamen genauso mit plötzlich und ohne Vorankündigung, wie damals die Salmonellen. Nur, dass ein Kind halt permanent ist und man dafür Verantwortung trägt und natürlich will, dass es ihm so gut wie möglich geht und damit begann das große Dilemma:

Mütterliche Gefühle vs. Phobie & Zwänge

Wenn es zu einer „gefährlichen“ Situation kommt, stehen sich zwei gegensätzliche Gefühle gegenüber, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Ich beschreibe das gern mit einem Beispiel:

Mein Sohn war ca. ein Jahr alt und mein Mann war an diesem Abend auf einer Feier. Ich brachte den Kleinen ins Bett, soweit so gut. Nach zwei bis drei Stunden begann er plötzlich zu quengeln und krümmte sich. Ich versuchte ihn zu beruhigen, da ich anfangs dachte, es wäre nur ein Albtraum gewesen. Schnell wurde mir dann aber klar, dass das Quengeln irgendwie nach Schmerzen klang. Shit. Mein Mann war gerade ca. 2 Stunden Autofahrt von mir entfernt und ich hatte natürlich vor meinem Kleinen Angst.

Einerseits hatte ich große Besorgnis und er tat mir unendlich leid, weil er Schmerzen hatte, andererseits hatte ich panische Angst vor ihm und wollte so weit weg wie möglich, aber irgendjemand musste sich ja um ihn kümmern.

Im Endeffekt rief ich mitten in der Nacht meine Mutter an, die dann vorbeikam und auf ihn schaute bis mein Mann heimkam. Es handelte sich bei den Schmerzen schließlich dann nur um 2 Riesen Püpse.

Ja was soll man dazu noch sagen? Mein schlechtes Gewissen in der Situation brauche ich wohl nicht zu beschreiben. Man möchte für das Kind da sein, kann es aber nicht, weil man davor davonlaufen möchte.

Medikamente gegen Zwangsgedanken Antidepressiva & Xanor

Nach den Noroviren waren die Zwangsgedanken so präsent wie noch nie. Selbst wenn er nur müde war, interpretierte ich das als Schlechtsein und jetzt stellt euch mal vor, wie oft denn ein 2-jähriger müde ist. Deswegen suchte ich mir einen neuen Psychiater. Ich litt an einem Leidensdruck von 10/10, er wollte mich eigentlich gleich auf Kur schicken, aber ich lehnte ab, weil ich gerade erst einen neuen Job begonnen hatte. Er verschrieb mir also wieder Citalopram, mit denen hatte ich gute Erfahrungen gemacht hatte und die bösen Gedanken & Befürchtungen in den Hintergrund verbannt werden. Nur bis die wirkten dauerte es wahrscheinlich noch ein Monat und so konnte ich nicht weitermachen. Ich traute mich nicht mal mit meinem Süßen zu kuscheln. Also verschrieb er mir Xanor (Xanax). Hui, ja das war ein einmaliges Erlebnis. Sorgen hatte ich da tatsächlich keine mehr. Aber leider auch sonst keine Empfindungen. Aus diesem Grund fehlen in der Packung heute erst, fast 2 Jahre später, nur eineinhalb Tabletten.

Selbsttherapie mit dem Buch „Erfolgreich gegen Zwangsstörungen“

Bei meinem letzten Besuch riet er mir dann zum Buch Erfolgreich gegen Zwangsstörungen*. Ich googelte es und bemerkte, dass an seiner Empfehlung was dran ist. Viele Psychotherapeuten arbeiten mit ihren Patienten nach diesem Buch und sind erfolgreich. Ich habe es schon angelesen und bin schon sehr gespannt, wie es wirkt. Die Zwangsgedanken beherrschen irgendwie schon mein gesamtes Leben und leider kann ich manchen Situationen in denen sie ausgelöst werden, nicht aus dem Weg gehen (zB Kind). Meine größte Motivation bleibt aber, dass ich meinem Kind beistehen will, wenn es ihm nicht gut geht. Es ist nämlich komplett irrational, wenn der kleine Schnupfen hat, dass ich Angst vor ihm habe, dass er speibt.

Bis ich das Buch Erfolgreich gegen Zwangsstörungen gelesen habe, das mir mein Psychiater empfohlen hat, wusste ich nicht einmal, dass ich an Zwängen leide.


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