Auf anraten meines Psychiaters habe ich nun diesen Blog reaktiviert, aber dazu an anderer Stelle. Ich möchte hier gerade meine akuten Ängste darlegen um sie zu ordnen und um ihnen so den Wind aus den Segeln zu nehmen.

Das Dilemma einer Emo-Mama

Ich liebe meinen 3-jährigen Sohn und ich würde ihm liebend gerne beistehen, wenn er krank ist. Das Problem? Ich hab Angst davor, dass mein Kind erbricht. Auch wenn er nur verkühlt ist, auch wenn er nur ein paar mal niest, auch wenn er nur müde ist. Sobald ich die ersten Anzeichen sehe, dass irgendwas nicht stimmt (aber eigentlich stimmt eh alles mit ihm), gehe ich auf Distanz. Ich versuche es ihm so gemütlich wie möglich zu machen und lege ihm viele Sachen zur Ablenkung bereit. Aber was ein Kind in Wirklichkeit braucht um wieder gesund zu werden ist Liebe, Kuscheln und Küsschen. All das kann ich ihm nicht bieten und das muss sich schleunigst ändern.

Ein Ereignis heute hat mir wieder den Anstoß gegeben, dass es mit dem „Abstand halten“ endlich vorbei sein muss. Der ganze Sommer über war herrlich. Mein Sohn war supergut drauf und gesund; wir hatten eine echt schöne Zeit. Bis heute.

Am Morgen war alles wie immer. Er ist gut gelaunt aufgewacht und hat sich schon auf den Kindergarten gefreut. Okay, er wollte nichts frühstücken, was aber okay ist, denn meistens packt er dann gleich seine Jause im Kindergarten aus und beginnt dort zu essen. Alles war gut und wir machten uns mit dem Auto auf den Weg in den Kindergarten. Plötzlich wurde er leise und hat zweimal geniest.

„Gesundheit!“ – „Danke, ich bin krank“

„Du bist doch nicht bei zweimal niesen krank“ – „Doch mir geht’s nicht so gut“

„Nein dich hat nur die Sonne in der Nase gekitzelt“ – „Nein ich bin krank, ich will nach Hause“.

Hm, da stimmt etwas nicht. Eigentlich macht er das manchmal im Spaß und sagt dann er muss zum Doktor oder ins Krankenhaus. Aber dass er sagt, ihm geht’s nicht gut und er will nach Hause. Das war schon neu. Als wir dann vorm Kindergarten geparkt hatten, habe ich mich zu ihm umgedreht und mein Adrenalin ist in die höhe geschossen. Seine Lippen waren ganz bleich. Okay – Okay. Ruhe bewahren:

„Geht’s dir wirklich nicht gut, is dir schlecht?“ – „Ja, aber ich will nach Hause“

Oh Mann. Ich musste mir jetzt dringend etwas überlegen, mein logisches Denkvermögen hatte sich mittlerweile komplett verabschiedet. Mein einziger Gedanke war: „Ich will ihn nicht bei mir haben, ich kann mich nicht um ihn kümmern, aber er tut mir so leid.“ Okay ein Kompromiss musste her.

„Wir machen das so: Du gehst jetzt mal mit mir rein in den Kindergarten und wenn es dir dann noch nicht gut geht, sagst du es der Maria (Anm.: seine Betreuerin) und ich hol dich sofort wieder ab, Okay?“ -„Mhmm“

Er ging dann eigentlich ohne große Umschweife mit mir zur Übergabe und hat sich noch ausgiebig und herzhaft – wie immer – von mir verabschiedet. Zurück beim Auto ging dann das Sorgenkarussell los: “ Was wenn sie mich gleich anrufen? Was wenn er erbricht (Warum sollte er?!)? Was wenn ich ihn abholen muss? Was mach ich mit ihm zu Hause? Lege ich ihn ins Bett? Soll ich einen Kübel bereitstellen?

Und das nur weil er zweimal genießt hat

Ich hab dann eine halbe Stunde zu Hause gebangt und meinen Mann panisch angerufen, der mir aber versichert hat, dass nichts sein wird. Warum auch? Er hat zweimal genießt und das auch nur, weil ihn wahrscheinlich die Sonne gekitzelt hat. Da wusste ich: Es ist wieder an der Zeit etwas zu tun, bevor der Herbst richtig eintrifft und die Infekte wieder losgehen.

Wie eine Fügung hatte ich für den heutigen Tag einen Kontrolltermin bei meinem neuen Psychiater ausgemacht und war froh, dass ich am Nachmittag jemanden hatte, mit dem ich reden kann. Er riet mir, alles aufzuschreiben und meine Gedanken zu ordnen. Meine Emetophobie rührt nicht von einer „einfachen“ Phobie her, sondern dem ganzen liegt ein Trauma zugrunde. Aber dazu mehr in einem anderen Artikel.

Warum habe ich Angst davor?

Hier wird es schwierig und das hier ist gerade der therapeutische Teil. Während den Schreiben werde ich unzählige Pausen machen, da ich bereits jetzt merke, wie ich nicht will. Aber das ist okay. Ich muss das nur alles mal strukturiert darlegen wieso ich Angst davor habe, dass mein Kind warum auch immer, erbricht.

Ich habe so eine starke Vermeidungshaltung, dass ich diesen Blog hier vor 6 Jahren nach 3-4 Postings abgebrochen habe, und dass ich gerade vom Thema abweiche. Es tut mir leid. Ich werde noch eine kurze Pause machen und dann gehts los:

Infizieren oder nicht

Das ist eine Frage, dich sich an jedem meiner einzelnen Lebensabschnitte anders beantworten lässt. Als ich noch ein kleines Kind war, bis ich meine Salmonelleninfektion mit 21 (also 2009) hatte, habe ich keine Angst vor Ansteckung gehabt. Zum Teufel, ich hab mir nicht mal die Hände gewaschen bevor ich etwas gegessen habe nachdem ich mit Öffis gefahren bin. Ganz abstrus, wenn ich heute daran denke. Das wäre sogar für einen Nicht-Phobiker mit durchschnittlichen Hygienestandards ekelhaft. Erst als ich die Salmonellen hatte, habe ich Angst vor Ansteckung durch Kranke bekommen. Angst mich durch verdorbene Lebensmittel zu infizieren hatte ich schon immer und werde ich auch immer haben. Bei Lebensmittel kritisch zu sein, ist auch irgendwo gesunder Menschenverstand.

So dann ging es los. Ich ging nicht mehr raus, da ich Angst hatte irgendwer könnte erbrechen und war dadurch in meinem Alltag so eingeschränkt, dass ich nicht mehr Einkaufen gehen konnte. Mir war jeden Tag schlecht und so weiter. Also das richtig volle Programm und der Tiefpunkt meines Lebens mit Emetophobie. Durch meine erste (Verhaltens-)Therapie konnte ich zwar meine Leben wieder irgendwie meistern, aber die Angst vor Infektion durch Menschen blieb.

Erst nach meiner zweiten (Trauma-)Therapie rückte diese Angst in den Hintergrund. Ausschlaggeber für meine zweite Therapie war übrigens auch mein Kleiner, der sich in der Kinderkrippe mit dem Norovirus angesteckt hat. Und uns dann auch ansteckte. Ja und ab dann hatte ich immer Angst vor ihm. Durch die Therapie (Brainspotting, Klopftherapie und „Innerer Rückzugsort“) und natürlich wieder die Einnahme von Citalopram löste sich die Angst mich anzustecken. Ich hatte wieder mehr Luft in meinem Leben zum atmen. Was blieb ist die Angst davor, dass mein Kleiner sich erbricht und wenn mir schlecht ist, dass ich erbrechen muss.

Was ist der Trigger meiner Angst?

Jetzt kommen wir endlich zum Kernteil meines Problems. Ich habe beim geringsten Anzeichen Angst dass er erbricht. Aber warum? Okay gehen wir es Schritt für Schritt durch:

Ist es der Ekel?

Nein definitiv nicht. Nicht im überschwelligen Maße. Meine Ekel-Grenzschwelle liegt ziemlich hoch. Natürlich ist es nicht lecker, Erbrochenes zu sehen und wenn ich es sehe gibt es mir noch immer einen kleinen Schockmoment. Früher hat sich das Bild von Erbrochenem so in mein Gedächtnis gebrannt, dass ich Tage später noch Flashbacks von den Flecken und dem Aussehen hatte. Heute ja, widert es mich zwar an, aber das wars auch schon. Genauso würde ich auch bei einem Hundehaufen die Nase rümpfen. Ekel ist auch etwas normales und schützt uns vor Krankheiten.

Ist es die Angst um mein Kind?

Nein auch nicht. Ich weiß er ist hart im Nehmen und wenn er denn mal erbricht, dann ist es auch bald vorbei. Einmal war er sogar alleine dabei. Während dem Schlafen hat er so einen heftigen Hustenanfall bekommen, dass er sich erbrochen hat. Ich bin dann rauf und hab noch nicht mal das Licht aufgedreht und wusste was es spielt.

„Mama ich hab ausgeschüttet“.

Und dass es ihm elend geht dabei, versuche ich auszumerzen. Leid tut er mir da schon sehr. Ich habe danach eine ganze Woche in seinem Zimmer geschlafen und er bei seinem Papa im Ehe-Bett.

Habe ich Angst davor wenn andere Erbrechen müssen?

Mittlerweile weiß ich es eigentlich gar nicht mehr. Durch Corona kommt man selten mit anderen Menschen in Kontakt, bei denen man Angst haben müsste, dass sie erbrechen. Stichwort: Partys. Aber ich habe keine Angst mehr, wenn mein Mann sagt ihm ist schlecht. Ich weiß er kann aufs Klo gehen und ich gehe einfach außer Hörweite.

Ist es das Unkontrollierbare?

Ich denke mit größter Wahrscheinlichkeit ist es das Unkontrollierbare. Ich kann es nicht verhindern. Ich bin machtlos und hilflos. Ich weiß nicht was ich tun soll und ich bin alleine mit ihm. Zwar versuche ich mich Vorzubereiten auf das Schlimmste, aber man kann sich ja auch nicht für alles wappnen. Ich habe Bauchwehtropfen, Ingwer-Aroma-Öl gegen Übelkeit, einen Kübel, Küchenrolle und mir einen Plan zurecht gelegt, was zu tun ist im Fall der Fälle. Kind so schnell wie möglich ins Bett zu bringen mit all den Utensilien und dort Zeit zu verbringen bis mein Mann mich ablösen kann. Aber warum sollte er mich überhaupt ablösen? Ich mein, ich will doch meinem Kleinen helfen. Ein innerliches Dilemma.

Wovor habe ich eigentlich Angst?

Okay, es ist das Unkontrollierbare, aber was soll da sein? Ich bin so flexibel und anpassungsfähig. Am besten agiere ich unter totalem Stress. Da laufe ich zur Höchstform auf. Wenn ein wirklicher Notfall eintritt habe ich den klarsten Kopf von allen.

Das hat sich damals in meiner Berufsschulzeit gezeigt. Meine Sitznachbarin ist plötzlich neben mir zusammengebrochen und war Bewusstlos. Alle sind schockiert dagestanden, haben sich nicht gerührt. Selbst die Lehrer. Ich wusste sofort, was zu tun war und hab alle (ja auch die Lehrer angeleitet): Tische wegschieben, sie in stabile Seitenlage bringen, währenddessen den Notruf wählen und hab mit denen alles am Telefon ausgemacht. Das alles passierte innerhalb der ersten 2 Minuten. Keiner sonst sagte oder tat irgendwas. Ich hab das aber niemanden übel genommen, da ich wusste dass das ziemlich heftig aussehen musste. In so einer Situation schaltet aber mein Hirn in komplett rationales denken um. Ich kann mich dann von meinen Gefühlen richtig gut abtrennen und klare Entscheidungen treffen. Nur beim Erbrechen nicht, da renne ich davon.

Warum fürchte ich mich davon das mein Kleiner erbricht? Ich verstehe es nicht. Okay ich bin gerade ziemlich klar im Kopf (da ich hier schon einiges losgeworden bin). Angenommen ein Szenario, warum auch immer:

Schlachtplan!

Eines morgens bin ich allein mit meinem Kleinen. Er erbricht sich, sagen wir noch im Bett. Da kann man dann einfach die Laken weg. Sagen wir, es geschieht im Wohnzimmer, mitten auf der Couch, die kann man abziehen und derweil auf die Terrasse legen. Wie sieht es mit Wohnzimmerteppich aus? Durchlüften, mit Küchenrolle Festes aufklauben und dann Natron 15min einwirken lassen. Nach dem Absaugen mit Teppichreiniger reinigen. In meinem Fall werd ich wohl einfach den Teppich wegschmeißen. Aber wie man sieht gibt es auch dafür eine Lösung. Okay, was passiert dann?

Schritt1: Immer zuerst um den Kleinen kümmern: Notfall-Kit holen und ihm den Kübel in die Hand geben und erklären was zu tun ist.

Schritt2: Das Gröbste weg, siehe oben.

Schritt3: Schauen dass er es gemütlich hat und er Ablenkung kriegt

Schritt4: Sobald er mich gehen lässt, ihm einen Tee machen und Gebäck holen.

Schritt5: Selfcare! Mich neben ihn hinlegen und Entspannungsübungen machen.

Irgendwie, wo ich das jetzt so niedergeschrieben hab, liest es sich so leicht. Es fühlt sich auch bewältigbar an. Als könnte ich das wirklich schaffen. Jetzt muss ich nur noch daran denken, sobald ich Angst bekomme und mich immer wieder daran Erinnern, dass ich das schaffen kann. Ich denke dass die Angst daran liegt, dass ich glaube das nicht bewältigen zu können und dass ich das ganze nur in chaotischen Gefühlen sehe. Nicht aber, dass man ja einem ganz einfachen Schemata folgen kann. Ich bin gespannt wie sich das entwickelt.